Trial & Error | Rise

Wie aus Fehlern Innovationen entstehen.

Wie steht es um die Fehlerkultur österreichischer Unterneh-men? Warum es Mut braucht, Dinge auszuprobieren und ein offener Umgang mit Fehlern Innovationen fördert, berichten unter anderem Wirtschaftsphilosoph und „Cognititive Scien-ce“-Experte der Universität Wien Markus F. Peschl und Dejan Stojanovic, Gründer der Fuckup Nights Vienna.

Immer mehr Menschen drängen in den Festsaal des Palais Eschenbach, nach und nach füllen sich die Reihen, eine Gruppe HAK-SchülerInnen erwischt die letzten Plätze. Die Gäste blicken ge-spannt zur Bühne. Das Ambiente wirkt feierlich – als würden hier gleich große Erfolge verkündet, GewinnerInnen ausgezeichnet oder ein Jubiläum gefeiert. Doch als Gastgeber Dejan Stojanovic die Bühne betritt, wird schnell klar: Hier geht es heu-te um Misserfolge. Über „Fuckups“ sprechenVor vier Jahren hat Stojanovic die „Fuckup Nights“ nach Wien geholt. Maximal vier SpeakerInnen er-zählen in zehn Minuten die Geschichte ihres be-ruflichen Scheiterns. Keine Power-Point-Folien, keine Grafiken – nur der Mensch, zehn Bilder und seine ganz persönliche Story. Dabei soll Scheitern nicht glorifiziert werden. Stojanovic erklärt, war-um ihm das Thema trotzdem so sehr am Herzen liegt: „Scheitern ist nicht cool, Scheitern tut weh. Niemand freut sich darüber, gescheitert zu sein. Es geht darum, Scheitern als einen Teil des Weges zum Erfolg zu sehen. Aus jedem Scheitern kön-nen wir Informationen entnehmen, die für einen zweiten Versuch nützlich sind und einen Erfolg wahrscheinlicher machen.“

Risikokapitalgeber rechnen damit, dass von zehn Start-ups zwei keine Gewinne abwerfen und vier insolvent werden.

Geschichten gäbe es auch in Österreich genug. Laut einer Studie der „KMU Forschung Austria“ im Auftrag des Gründerservice Österreich wer-den hierzulande jährlich zwischen 500 und 1.000 Start-ups gegründet. Auch wenn InvestorInnen in Österreich vergleichsweise vorsichtig sind, so fließt doch jährlich mehr Risikokapital in Jungun-ternehmen. 2016 waren es laut „Startup Report Austria“ 81 Millionen Euro, 2017 bereits rund 133 Millionen. Mehr Risikokapital bedeutet, mehr Ideen können umgesetzt werden – zugleich aber auch: Mehr Start-ups werden scheitern. Risikokapitalgeber rechnen damit, dass von zehn Start-ups zwei keine Gewinne abwerfen und vier insolvent werden. Und es kann selbst jene treffen, die viel Aufmerksamkeit und gute Prognosen hatten. So mussten 2018 unter anderem das kohlenhydratar-me „Nixe Bier“, die Immobilienplattform „Zoom-square“, die Rubbellos-App „Rublys“, das Mobile –Payment-Start-up „kWallet“ oder die Künstliche Intelligenz-App „Toby“ Insolvenz anmelden. Alle-samt keine Unbekannten in der Szene. Während viele GründerInnen vor und während ihrer erfolgreichen Zeit keine Bühne auslassen, um ihre Ideen zu präsentieren, wird es danach meistens sehr ruhig um sie. Über Misserfolge spricht niemand gerne, schon gar nicht in Euro-pa. Dabei ist ein gesunder Umgang mit Fehlern bei Start-ups, aber auch gerade in etablierten Un-ternehmen wichtig, um neue Produkte zu entwi-ckeln und interne Innovationen voranzutreiben.

Man darf nicht davor zu-rückschrecken, dass man etwas falsch machen kön nte. Es gehört die Be –  reitschaft dazu, etwas verändern zu wollen.

Das Trial-and-Error-Prinzip im „Design Thinking“Markus F. Peschl, Professor für Wissenschafts-philosophie und „Cognitive Science“ an der Universität Wien forscht seit Jahren zu der Entstehung von Innovation und unterstützt Unternehmen mit seiner Agentur „theLiving-Core“ auf dem Weg in eine erfolgreiche, wett-bewerbsfähige Zukunft. Wichtige Bausteine für die Entstehung von Innovation seien Offenheit, Kreativität, aber eben auch der Mut Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen. „Man darf nicht davor zurückschrecken, dass man etwas falsch machen könnte. Es gehört die Bereit-schaft dazu, etwas verändern zu wollen. Und im Fall, dass der Fehler bereits passiert ist, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen“, erklärt Peschl.Im „Design Thinking“ ist das Trial-and-Er-ror-Prinzip ein wichtiges Tool, um Probleme zu lösen und neue Ideen zu entwickeln. Der innovative Ansatz, der sowohl in Universitä-ten als auch in Unternehmen immer häufiger zum Einsatz kommt, arbeitet sehr eng am An-wender. Im „Design Thinking“ ist es wichtig, einen ersten einfachen Prototyp zu entwickeln, der so schnell wie möglich am Markt getestet werden kann. Kommt der Prototyp beim Kun-den/bei der Kundin nicht an, kann er in eine andere Richtung weiterentwickelt oder aber vollständig verworfen werden. Was zählt, ist der Lerneffekt, den man aus der Interaktion mit dem/der Anwender/in zieht. Funktioniert ein Testprodukt nicht, wird dies nicht als Feh-ler, sondern als Versuch und damit als Teil des Prozesses gewertet. Prof. Peschl betont dabei, es ginge nie darum, Fehler zu machen, sondern Verantwortung zu übernehmen: „Ich versuche nicht den Fehler zu vertuschen, sondern ich versuche, ihn nicht wieder zu begehen. Zugleich versuche ich, das, was mir der Fehler über die Realität aussagt, aufzunehmen und dementsprechend zu han-deln.“ So ginge es einerseits um eine Analyse dessen, was schiefgelaufen ist. Andererseits darum, zu schauen, welche Forderungen von der Realität an mich gerichtet seien. Mit seiner Agentur „theLivingCore“ arbeitet Peschl primär mit internationalen Unternehmen zusammen. Österreichische Unternehmen seien – natür-lich mit Ausnahmen – in Bezug auf Innovation, und der damit unweigerlich verknüpften Feh-lerkultur, eher konservativ.

Kapsch Group: Aus der Beinahe-Insolvenz zum führenden IT-KonzernEin besonders dramatisches Beispiel für zu konservatives Management war die Kapsch Group kurz vor der Jahrtausendwende. Einst baute das österreichische Traditionsunterneh-men den ersten Radioempfänger mit Röhren, das erste Selbstwahl-Telefon oder das erste C-Netz-Mobiltelefon, 2001 stand es kurz vor der Insolvenz. Heute ist die Kapsch Group ei-nes der größten IT-Unternehmen Europas, ihr Fokus liegt auf der Entwicklung von Mautsyste-men. 2017/18 erwirtschaftete sie einen Umsatz von 1,145 Milliarden Euro.„Das Management und die EigentümerInnen haben die Warnsignale damals vollkommen ig-noriert, die bereits acht Jahre vorher erkennbar waren. Es fehlte der Wille zur Portfoliodiversi-fikation und Internationalisierung. Wir hatten eine zu hohe Fertigungstiefe und wenig inter-nes Know-how auf den eigenen Produkten. Das Geschäftsmodell war nicht skalierbar, die EigentümerInnen zerstritten und es fehlte an echter Führung. Das Motto lautete: ‚Bewahren statt verändern.‘ – man arbeitete maximal risi-koavers“, Georg Kapsch, der die Fehler seiner VorgängerInnen sehr deutlich aufzeigt, machte im Jahr 2001 einen radikalen Cut. 

Das Management und die EigentümerInnen haben die Warnsignale damals vollkommen ignoriert, die bereits acht Jahre vorher erkennbar waren.

Kapsch änderte das Produktportfolio, wechsel-te die Branche und internationalisierte das Un-ternehmen. Inzwischen setzt die Kapsch Group größtenteils flexible Tools ein und ist agiler in der Entwicklung. „Wesentlich war, dass zwar ein hartes Kostensenkungsprogramm mit vie-len Bereichsschließungen gefahren wurde, aber gleichzeitig massiv in die Zukunft inves-tiert wurde. Das hat die Menschen motiviert. Alles natürlich mit einem völlig neuen Lea-dership-Team“, erzählt Kapsch, „Fehler können auch heute noch passieren, aber durch die Viel-fältigkeit unseres Führungsteams fallen Fehler sehr schnell auf.“ Allerdings hätte die Fehlerkultur im Unterneh-men leider noch nicht den gewünschten Rei-fegrad erreicht. „Ich selbst gebe meine Fehl-entscheidungen immer wieder offen zu. Umso erstaunlicher ist es, dass sich noch keine posi-tive Fehlerkultur durchgesetzt hat. Aber wir ar-beiten daran“, berichtet Kapsch überraschend ehrlich. Ein Blick auf den Hernstein Manage-ment Report zeigt, dass die meisten Top-Füh-rungskräfte die Fehlerkultur im eigenen Unter-nehmen wesentlich positiver einschätzen als MitarbeiterInnen aus dem unteren Manage-ment.

Fehlerkultur in Österreichs Unternehmen verbes-serungswürdigIm Zuge des Reports aus dem Jahr 2017 wurden 1.585 deutschsprachige Führungskräfte, davon 685 aus Österreich, zum Umgang mit Fehlern im eigenen Unternehmen befragt. Unter ande-rem waren 61 Prozent der Befragten der Mei-nung, dass es in ihrem Unternehmen einen of-fenen und transparenten Umgang mit Fehlern gäbe. Top-Führungskräfte sahen das allerdings deutlich positiver (75 Prozent) als Führungs-kräfte des unteren Ma-nagements (54 Prozent). Zudem glauben 52 Prozent der Top-ManagerInnen, dass das offene Besprechen von Fehlern be-lohnt würde, aber nur 21 Prozent der unteren Führungsebene konnte dies bestätigen. Insge-samt meinten 41 Prozent der Befragten, dass Mitarbeitende Fehler freimütig zugeben, ohne nach Ausreden zu suchen, hingegen 24 Prozent, dass bei auftretenden Fehlern vor allem die Schuldfrage diskutiert wird. Dies hat zur Folge, dass Fehler vertuscht werden und so dem Un-ternehmen viel Geld kosten – zugleich hemmt eine negative Fehlerkultur Innovationen, da sich niemand traut, Dinge auszuprobieren und neue, unbekannte Wege einzuschlagen. kräfte des unteren Ma-nagements (54 Prozent). Zudem glauben 52 Prozent der Top-ManagerInnen, dass das offene Besprechen von Fehlern be-lohnt würde, aber nur 21 Prozent der unteren Führungsebene konnte dies bestätigen. Insge-samt meinten 41 Prozent der Befragten, dass Mitarbeitende Fehler freimütig zugeben, ohne nach Ausreden zu suchen, hingegen 24 Prozent, dass bei auftretenden Fehlern vor allem die Schuldfrage diskutiert wird. Dies hat zur Folge, dass Fehler vertuscht werden und so dem Un-ternehmen viel Geld kosten – zugleich hemmt eine negative Fehlerkultur Innovationen, da sich niemand traut, Dinge auszuprobieren und neue, unbekannte Wege einzuschlagen.

Insgesamt meinten 41 Prozent der Befragten, dass Mitarbeitende Feh-ler freimütig zugeben, ohne nach Ausreden zu suchen, hingegen 24  Prozent, dass bei auftre-tenden Fehlern vor  allem die Schuldfrage diskutiert wird.

 Auf dem Weg dahin ergreift die RBI durchaus ungewöhnliche Maßnahmen. Im Oktober 2018 fand ihre erste „Night of Failure“ statt, auf der drei Entrepreneure und ein Vorstandsmitglied der RBI erzählten, was während ihrer Karriere schiefgelaufen ist und wie das den Grundstein für lebenslanges Lernen gelegt hat. Unterstützt wurden sie dabei vom „Fuckup-Experten“ De-jan Stojanovic. In der nächsten „Night of Fai-lure“ sollen dann MitarbeiterInnen den Mut haben, eine persönliche Fehlergeschichte zu teilen. Die Intention der Innovationsmanage-rin ist klar: „Fuckup Nights können hervorra-gende Best Practices liefern. Es braucht ledig-lich noch etwas mehr kulturelle Akzeptanz, um Misserfolge als Teil des Erfolges zu sehen.“

Da Innovationskultur mit einer gesunden Kultur des Scheiterns einher-geht, wurde auch das Thema Fehlerkultur in den letzten Jahren im-mer wichtiger.

Schon in der Schule Innovation fördernDie SchülerInnen im Publikum der „Fuckup Night“ im Palais Eschenbach sind fasziniert von den Geschichten der Vortragenden: „Es macht Mut zu sehen, dass es keine Schande ist zu verlieren, dass es keine Schande ist, einmal hinzufallen“, sagt Armin anschließend im In-terview. Und Theresa ergänzt: „Ich habe heu-te gelernt, dass man niemals aufgeben sollte: Selbst wenn man scheitert, kann man trotz-dem noch einmal erfolgreich werden.“ Dejan Stojanovic scheint sehr zufrieden, auch wenn er heute Abend nur zehn SchülerInnen über-zeugen konnte, so ist dies doch ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Stojanovic ist der Überzeugung, dass ein dringend notweni-ger Kulturwandel nur möglich ist, wenn man so früh wie möglich ansetzt. Am besten in der Schule. Denn „der Umgang mit Fehlern und Misserfolgen, ist auch eine Frage der Genera-tionen. Sobald eine Generation die andere ab-löst, kann das schon ganz anders sein.“ Auch Prof. Peschl betont, man müsse das The-ma viel mehr in den Fokus rücken, in jedem Studium zum Beispiel eine Grundausbildung zu der Haltungsfrage vermitteln. Stojanovic setzt noch früher an und hält regelmäßig Vor-träge in Schulen. Denn die USA seien nicht bes-ser als Europa, sie hätten nur weniger Angst vor Experimenten. Leute, die eine gute Idee haben und einfach mal etwas ausprobieren möchten, würden unterstützt. „Wir haben wo-möglich sogar bessere Talente, smartere Köpfe und eine bessere Schulbildung. Nur unser Mindset muss sich ändern.“