Richtig scheitern | Wiener Zeitung

Unternehmer, die ihre Firma in den Sand setzen, passen nicht in das erfolgreiche Image ihrer Kollegen. Bei der „Fuck Up Night“ sprechen sie erstmals über ihr Versagen.

Wien. Die Welt der Unternehmer scheint eine vollkommene zu sein. Kein Chef, der einem sagt, was man zu tun hat, freie Einteilung bei der eigenen Arbeitszeit, unendlich viel Anerkennung und oft auch finanzielle Unabhängigkeit, wenn der Businessplan voll aufgeht. So wird es gerne erzählt.

Doch was, wenn die lange durchdachten und von Experten erstellten Pläne nicht funktionieren und der Kunde kein Interesse an dem Produkt hat? Wenn es keine Gewinnspanne gibt und man seine Mitarbeiter entlassen muss? Wenn man sein Unternehmen in den Sand setzt und so richtig scheitert? Viele Unternehmer kennen diese Situation. Die wenigsten von ihnen wollen aber darüber sprechen. Zu groß ist der nicht mehr rückgängig zu machende Makel im Lebenslauf. Ein Makel, der einem Unternehmer hierzulande als persönliches Scheitern angelastet wird.

Marleen Dobrounik hat erlebt, was es heißt, in Österreich zu scheitern. Nach 14 erfolgreichen Jahren bekam der Familienbetrieb ihres Vaters keine Aufträge mehr. Die wenigen Mitarbeiter konnten nicht mehr bezahlt werden und mussten gekündigt werden. Der Betrieb für den der Vater haftete, rutschte immer tiefer ins Minus. Einen Antrag auf Privatkonkurs brachte er aber nicht ein, aus Angst vor dem Gerede der Nachbarn. Zwar wäre ihm dadurch ein Teil seiner Schulden erlassen worden, doch hätte er sich dadurch auch offiziell als zahlungsunfähig geoutet. Bis heute konnte er seine Schulden nicht zurückzahlen.

Gescheitert ist auch Damian Izdebski mit seiner Firma DiTech. Im März 2014 musste das Unternehmen Insolvenz anmelden. Bis dahin war DiTech der größte Online-Händler für Elektronik in Österreich mit mehr als einer Milliarde Euro Umsatz. Aus den USA kamen danach Jobangebote mit einem Jahreseinkommen von einigen 100.000 Dollar, sagt Izdebski. In Wien hingegen haben Personen, die ihn erkannt haben, die Straßenseite gewechselt.

Kultur des Scheiterns

Erzählt haben beide ihre Geschichte bei der Wiener Ausgabe der „Fuck Up Night“ (fuck up: etwas verbocken, Mist bauen). Mehrere hundert Zuschauer saßen im Saal und applaudierten den Vortragenden. Vor allem Jungunternehmer und jene die es noch werden wollen, sind gekommen. Anerkennend nicken sie, wenn die gescheiterten Unternehmer auf der Bühne von ihren Misserfolgen erzählen.

Applaus fürs Scheitern, das ist ungewöhnlich in Österreich. Die beiden Organisatoren Salome Wagner und Dejan Stojanovic wollen dies nun ändern und eine Kultur des Scheiterns etablieren. „Unternehmer sein oder ein Start-
up zu gründen gilt als cool“, sagt Stojanovic, der selber Unternehmer ist und einen Online Marketplace für Neufahrzeuge betreibt. „Mach es einfach, los geht’s, heißt es dann. Die, die auf der Strecke bleiben, die es also nicht schaffen, über die wird in der Szene nur ungern gesprochen. Wir wollen sie nun vor den Vorhang holen.“

Vor einem Jahr veranstalteten Stojanovic und Wagner die erste Wiener „Fuck Up Night“ im In-Lokal Mon Ami im 6. Bezirk. Gleich am ersten Abend kamen 80 Gäste, die sich in das beschauliche Café drängten. Ein Jahr und fünf Veranstaltungen später sind es mehr als 300 Zuhörer in einem Saal des Palais Eschenbach.

Die Idee für die Eventreihe entstand vor drei Jahren in Mexico City. Fünf Freunde aus dem Umfeld der Start-up-Szene waren genervt von ihren Kollegen, die alle nur über ihren Erfolg gesprochen haben. Nun sind sie selber erfolgreich. In mehr als 100 Städten weltweit werden mittlerweile „Fuck Up Nights“ veranstaltet. Stojanovic und Wagner übernahmen das Konzept für Wien. „Es geht darum, von den Fehlern zu lernen und wieder auf die Beine zu kommen“, sagt Wagner. „Es ist auch befreiend darüber zu sprechen, dass es halt nicht geklappt hat.“

So sieht es auch Harald Preyer, bei dem der Spruch vom Tellerwäscher zum Millionär wahr geworden ist. Preyer, ein stattlicher Mann, das graue Haar zur Seite gegelt, offenes Sakko, hat aber auch die Umkehr des amerikanischen Leitsatzes kennengelernt. In der „Fuck Up Night“ im Palais Eschenbach spricht er nun zum ersten Mal darüber in der Öffentlichkeit.

„Nur mein Sohn und Salome Wagner, die mich eingeladen hat, kennen die Geschichte“, sagt der 52-Jährige mit leiser Stimme, als er auf der geräumigen Bühne nach vor ins Licht tritt. Preyer will andere davor bewahren, denselben Blödsinn zu machen, sagt er noch. Dann erzählt er, wie es bereits in jungen Jahren sehr schnell aufwärts ging. Mit 27 Jahren war Preyer Vorstandsdirektor eines IT-Konzerns in den USA. Acht Jahre später gründete er das Beratungsunternehmen Eucusa. Er habe teuer gelebt und nichts gespart, sagt er und blickt auf den Boden. So teuer, dass er 2005 Privatkonkurs anmelden musste. Für die Familie hatte er als Unternehmer auch kaum Zeit.

Zum ersten Mal am Boden

Als er 2012 dann schuldenfrei war, offenbarte ihm seine Frau, dass es einen anderen Mann in ihrem Leben gibt. „Das war das Ende der Geschäftsführung bei Eucusa“, sagt Preyer. Er war zum ersten Mal in seinem Leben so richtig am Boden gelandet. „Ich hatte keine Kraft und auch keine Lust mehr. Meine Gesellschafter haben das Vertrauen in mich verloren, und ich auch.“ Im Leben sei ihm immer alles zugeflogen, sagt der Unternehmer. „Ich musste mich nie anstrengen und habe mich auch nie angestrengt.“ Etwas mehr Demut hätte ihm nicht geschadet, räumt er ein. Mittlerweile ist er wieder als Unternehmer tätig. „Heute strenge ich mich an und es macht mir Spaß“, sagt er. Der Saal jubelt ihm zu. Über das Scheitern sprechen und dazu zu stehen, das verdient höchsten Respekt.

Danach kommt Michael Hofstätter, ein drahtiger Typ mit unauffälligem Kurzhaarschnitt. Ähnlich wie sein Vorredner war auch er in jungen Jahren erfolgreich. Mit vier Freunden gründete Hofstätter mit 25 ein Unternehmen, das Applikationen für Handys entwickelte. Ein Investor bot bald zwei Millionen Euro. Die Jungunternehmer nahmen das Angebot an, ohne zu wissen, wie man einen Businessplan erstellt und eine Firma führt. „Wir waren europaweit Nummer eins und hatten 35 Vollzeit-Angestellte“, so Hofstätter. Das abrupte Ende des Unternehmens folgte zwei Jahre später, die fünf Freunde zerkrachten sich. „Ich hatte keine Erfahrung, und wurde als CEO ins Unternehmen hineingestoßen. Danach war ich abhängig von Beratern, die aber nur ihr eigenes Interesse verfolgt haben“, umreißt er den Hauptgrund für sein Scheitern.

Nach dem Crash erlebte er Leere, Einsamkeit und Depression. Hofstätter war froh noch drei andere Freunde zu haben, die ihn aufgefangen haben. Die Freundschaft mit seinen vier Mitgründern ging hingegen in die Brüche. In der Start-up-Szene werde einem immer gesagt: „Just fucking do it!“, sagt Hofstätter. Der Satz hat für ihn aber an Leichtigkeit verloren. „Das ist mir zu einfach dahin gesagt. Man muss wissen was und mit wem man es tut.“

Die Leidenswege der Vortragenden hatte alle ein Ende bevor sie die Bühne der „Fuck Up Night betreten haben. Sie haben gegründet, sind gescheitert und wieder aufgestanden.

Das Publikum wirkt nach den Auftritten gelöst und erleichtert. Ein Gewinner unter Unternehmern ist nicht, wer seine Gewinnspanne monatlich verdoppelt, sondern wer scheitert und wieder zurückkommt. Applaus.