Mist gebaut und stolz darauf | SPIEGEL

Wer im Job versagt oder die eigene Firma an die Wand fährt, hängt das nicht an die große Glocke. Bei den FuckUp Nights darf man hingegen aus seinen Tiefschlägen eine Show machen – mit Lerneffekt für andere.

Scheitern als Chance – ein romantischer Slogan, von dem Patrick Wagner nichts wissen will. Er schreibt gerade an einem Buch mit dem Arbeitstitel „Scheitern als Scheitern“. „Damit will ich dem Scheitern das zurückgeben, was ihm Veranstaltungen wie diese hier genommen haben“, sagt er. Denn scheitern darf man auch mal so, ohne erbaulichen Zugewinn.

In den Neunzigerjahren war Wagner Mitbegründer des Berliner Indie-Labels Kitty-Yo und Kopf der Band Surrogat. Heute steht er bei der dritten FuckUp Night Düsseldorf und erzählt seine emotionale Geschichte in ein Mikrofon. So laut, dass sich der Ton manchmal überschlägt.

Das Konzept der FuckUp Night kommt aus Mexiko. Ein paar Freunde unterhielten sich eines Abends über ihre unternehmerischen Erfahrungen – besonders über die Fehler. Dabei bemerkten sie, wie wertvoll und nachhaltig dieser Austausch war. Daraus entwickelte sich die Veranstaltungsreihe, die inzwischen 33 Städte und zehn Länder erreicht hat.

Der Krefelder Ben Teeuwsen brachte die Idee von einer Mexikoreise mit nach Deutschland und veranstaltete mit Yvonne Firdaus, Geschäftsführerin des Coworking-Space GarageBilk, und Business-Coach Oliver Wüntsch im April 2014 die erste FuckUp Night Deutschlands.

Unternehmer berichten dabei von ihren beruflichen Rückschlägen und Misserfolgen. Das Motto: „Wenn du verlierst, verliere nie die Lektion.“

In Düsseldorf gibt es für ein paar Euro Eintritt neben FuckUp-Vorträgen auch Freibier. Bei der ersten Auflage reichte der kleine Kühlschrank am Ende des Raumes aus. Heute kommt Teeuwsen mit dem Kühlen des Nachschubs kaum hinterher. Mehr als hundert Gäste hören Wagner zu.

Millionen in den Wind gehauen

„Mein Geschäftspartner und ich hatten damals in den Neunzigern keinen Businessplan, keine Anwälte, keine Verträge“, erzählt er. Acht Jahre später hatte Kitty-Yo 18 Angestellte und einen weltweiten Vertrieb. Das Label war millionenschwer. „Aus dem Nichts“, sagt der 44-Jährige, ballt die Faust und brüllt: „Geil! Die ganze Welt wollte uns.“ Doch die beiden wurden sich nicht einig. Wagner wollte expandieren, sein Geschäftspartner nicht. „Ein schlauer Mensch hätte seine Anteile verkauft“, meint er. Wagner ging – von seinem einstigen Erfolg blieb ihm nichts.

Später gründete er mit seiner Frau die Plattenfirma „Louisville Records“. 2010 war Schluss, das Label insolvent. Vier Wochen später war auch Wagners Ehe am Ende. Heute arbeitet der Berliner als Musikdozent, Berater und Fußballtrainer für Kinder.

Trotz seiner leisen Kritik genießt er die Show. Er finde die FuckUp Night „super“, sagt er, schämt sich nicht für sein Scheitern. Die Kernbotschaft seiner Geschichte formuliert er so: „Jeder will jeden scheitern sehen. Es ist eine kranke Welt. Wenn ihr auf die Schnauze fallt, steht so schnell wie möglich wieder auf. Das ist die elementare Botschaft. Schaut nicht zurück!“

Eigentlich ist es gerade das, was das FuckUp-Konzept ausmacht. Neben Wagner schaut auch der Düsseldorfer Christian Paul Stobbe zurück. Sein Vortragstitel: „Wir zielen nur, das Schicksal steuert.“ 2006 wollte er mit Freunden einen Transfermarkt und ein soziales Netzwerk für die deutsche Amateurfußballszene entwickeln. Der Name: trafema. Die Idee ging auf. „Innerhalb kürzester Zeit hatten wir zehntausend Spieler aus Nordrhein-Westfalen in unserer Datenbank. Sogar eine Fernsehsendung haben wir gemacht. Die Produktionskosten pro Sendung: 150 Euro.“ Die Erfolge waren da, und auch ein Investor fand sich. Stobbe: „Wir waren euphorisiert und nahmen den Erstbesten.“

Feiere deine FuckUps!

Dann kam die Lehman-Brothers-Pleite. „Das hat uns den Boden unter den Füßen weggezogen. Letztendlich stellte unser Investor die Finanzierung ein. Nachdem wir gerade einmal ein halbes Jahr alt waren, legten wir eine saubere Insolvenz hin.“ Heute arbeitet er bei einer Düsseldorfer Werbeagentur in einer leitenden Position. Vieles, was er damals gelernt habe, helfe ihm heute. Sein FuckUp-Fazit: „Leere Taschen haben noch nie jemanden aufgehalten, nur leere Köpfe und leere Herzen können das.“

Michael Gärtner ist im Herzen Handwerker. Schon mit zwölf Jahren hatte er ein eigenes Schweißgerät. 14 Jahre später ist er Unternehmer. Und bringt sein Publikum zum Lachen: „Wir arbeiten gerade noch auf den großen FuckUp hin, feiern aber täglich unsere kleinen FuckUps.“ Sein Unternehmen heißt Blitzbude und vermietet selbstgebaute, mobile Fotoautomaten. Den Prototyp bastelte Gärtner im eigenen Keller.

Inzwischen sind er und sein Team damit auf Messen wie der Gamescom oder Firmenfeiern vertreten. Nicht immer ohne Probleme. Ein zu langsamer Drucker, eine falsch herum eingebaute Kamera und eine Investition in fünfstelliger Höhe, die sich im Nachhinein als fragwürdig herausstellte – Start-up-Stolpersteine, die sein Unternehmen ins Straucheln, aber nicht zu Fall brachten.

„Scheißt auf euer Ego“, ruft er und wird am Ende pathetisch: „Wir sollten jeden Morgen so offen angehen, dass wir am Ende des Tages eine neue Person sind.“