"Cities Fuckup Night": Wo Vassilakou "Mist baute" | Kurier

Drei Jahre Hölle waren es wert“: Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou sprach vor internationalen Gästen über Fehler, Versäumnisse und Pannen während der jahrelangen Mariahilfer-Straßen-Erregung.

Ein Grund, warum Politiker ihren Wählern oft künstlich und abgehoben erscheinen, liegt darin, dass sie keine Fehler zugeben. Zumindest nicht, wenn Kameras und Mikrofone laufen. Einen Fehler öffentlich eingestehen könnte Glaubwürdigkeit und Autorität kosten, auch innerparteilich.

Die Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou legte so gesehen einen untypischen Auftritt hin. Am Donnerstag wurde in der Messe Wien zur sogenannten „Cities Fuckup Night“ geladen. Stadtpolitiker erzählten, wo sie, vornehm übersetzt, „großen Mist gebaut“ haben. Verantwortliche aus Vancouver, Stockholm und dem belgischen Gent sprachen offen über fatale Fehleinschätzungen, leere Kilometer und schmerzhafte Niederlagen. Gastgeberin Vassilakou wollte nicht kneifen und gab dem internationalen Publikum schonungslose Anekdoten aus drei Jahren Mariahilfer-Straßen-Erregung zum Besten.

Die längste Shopping-Straße Mitteleuropas

Trotz ihres Namens fand die „Cities Fuckup Night“ am Nachmittag statt und war nur ein Programmpunkt einer dreitägigen Konferenz in Wien zum Thema „Urban Future“, der Zukunft von Städten, die am Freitag endet. „Es waren drei Jahre Hölle, aber das Ergebnis war es wert“, sagte Vassilakou am Ende ihres kurzen Vortrags, in dem sie Höhen und Abgründe der Mahü-Erneuerung schilderte und Tiefschläge nicht verschwieg.

Die Ausgangslage: die mit 1,6 Kilometern längste Einkaufsstraße Mitteleuropas, wochentags 60.000 bis 70.000 Fußgänger, aber auch 12.000 Autos. Das war 2011. „Wo, wenn nicht dort, sollten wir eine Verkehrsberuhigung machen?“, erklärte Vassilakou. Positiv sei gewesen, die zwei Bezirksvorsteher Renate Kaufmann (SPÖ, 6.) und Thomas Blimlinger (Grüne, 7.) auf ihrer Seite zu wissen. Negativ verlief vieles andere.

Showdown vor Nationalratswahl

Der vielleicht wichtigste Kritikpunkt von Vassilakou 2018 an Vassilakou2014: Aus heutiger Sicht hätte sie vor der Befragung in den zwei angrenzenden Bezirken nicht nur einfach die Autos verbannt, sondern gleich einen Mahü-Abschnitt umbauen lassen. Auf diese Weise hätten die Bürger sich die Vorteile besser vorstellen können.

Außerdem hätte die Wiener Bevölkerung Computer-Visualisierungen der geplanten neuen Mahü erst spät zu Gesicht bekommen, dies würde sie nun viel früher machen. Auch die Projektphase von 2011 bis 2014 sei zu lang gewesen. Medien und Opposition hätten die Zeit genüsslich genutzt, um das Projekt zu zerpflücken. Die Testphase habe etwa vor der Nationalratswahl 2013 das ganze Land beschäftigt.

Besorgte Anrufe aus der Ferne

„Es riefen mich Leute vom anderen Ende Österreichs an und fragten: ‚Stimmt es, dass jemand auf der Mariahilfer Straße gestorben ist?'“, erzählte Vassilakou. Natürlich sei niemand überfahren worden. Dass die Busfahrer sich im August 2013 zunächst weigerten, durch die Fußgängerzone zu lenken, verschärfte Vassilakous Lage zusätzlich.

Trotz vieler Rückschläge habe man im März 2014 schließlich in den zwei Bezirken Mariahilf und Neubau 53 Prozent Zustimmung bei der entscheidenden Befragung bekommen, sagt Vassilakou, noch heute sichtbar bewegt. Den internationalen Fachleuten im Publikum der Messe Wien sagt sie zum Schluss noch, wieder ganz Profi: „Ich lade Sie alle ein, am Freitag noch auf die Mariahilfer Straße zu gehen und zu schauen, wie sie jetzt aussieht. Nebenbei können Sie ja einkaufen gehen und ein bisschen Geld in der Stadt lassen.“

Scheitern keine Schande

Die Mariahilfer Straße ist heute – quasi als österreichische Lösung – nur zu rund einem Drittel eine Fußgängerzone und hat zwei Abschnitte mit sogenannten Begegnungszonen („Shared Spaces“) , in denen auch Autosund Radfahrer unterwegs sein dürfen. Die „Cities Fuckup Night“ mit Politikern war eine Premiere, ist sie doch ein Ableger der klassischen „Fuckup Nights“, in denen Unternehmer, inspiriert von Amerikas Start-Up-Kultur, von ihrem Scheitern berichten. Dies soll keine Schande mehr sein, kein Tabu. Der Wiener Unternehmer Dejan Stojanovic, der auch durch diesen Nachmittag führte, hatte das Rede-Format nach Österreichgebracht.

Aus dem mühsamen Mahü-Projekt habe Vassilakou nicht nur persönlich gelernt, es habe auch politische Effekte gehabt. Die folgende Umwandlung der Herrengasse in einen „Shared Space“ habe kaum mehr Widerstand erfahren. Auch um die Lange Gasse, die heuer teilweise zur Begegnungszone wird, gab es bisher keine Kontroverse.