Gescheiterte Unternehmer als Publikumshit | orf.at
In Wien finden regelmäßig „FuckUp Nights“ statt. Dabei erzählen gescheiterte Unternehmer vor Publikum ihre Geschichte. Sie wollen damit anderen Mut machen. Die Veranstaltungen sind meist bis auf den letzten Platz gefüllt.
Eigentlich sah es ganz gut aus für die Werbeagentur von Gerhard Scheucher. Sie bekam genügend Aufträge und schaffte es als Finalist zum großen Werbefestival in Cannes. Dann geschahen zwei Dinge, auf die der Unternehmer nicht vorbereitet war: „Zuerst ist uns ein Kunde, wo wir alle Leistungen erbracht haben, 54.000 Euro schuldig geblieben. Einen Monat später ist uns ein langjähriger Geschäftspartner 42.000 Euro schuldig geblieben“, so Scheucher.
Durchs Scheitern zum Buchautor
Plötzlich waren 96.000 Euro weg. „Warum haben Sie keine Rücklagen gebildet?“, hakt ein Zuschauer nach. Durch die Konkurrenzsituation auf dem Markt sei es über die Jahre kaum möglich gewesen, Geld anzusparen, meint Scheucher. Der Konkurs war nicht mehr abzuwenden. „Sie haben zu viel Personal gehabt“, belehrt ein anderer Zuschauer. Scheucher rechtfertigt sich. Der Austausch ist lebhaft. Scheucher hat mittlerweile drei Bücher über das „Scheitern“ geschrieben. Eines wurde ins Koreanische übersetzt.
„Kultur des Scheiterns etablieren“
Zirka 80 Menschen sind zur Veranstaltung gekommen, das Gründungszentrum der Wirtschaftsuniversität Wien ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Salome Wagner und Dejan Stojanovic verlangen keinen Eintritt, aber man muss sich früh genug anmelden, um einen Platz zu ergattern. Die beiden haben die „FuckUp Night“ nach Wien geholt. Sie wird von Sponsoren wie der WU finanziert.
Das Konzept der „FuckUp Night“ kommt aus Mexiko. 2012 veranstalteten fünf Freunde die erste „Nacht des Scheiterns“. Mittlerweile haben in 58 Ländern „FuckUp Nights“ stattgefunden. Seit 2014 gibt es sie auch in Österreich. „Wir haben uns gedacht, das ist eine gute Sache, wir müssen hier die Kultur des Scheiterns etablieren“, meint Stojanovic.
US-Scheiterkultur als Vorbild
Der Name „FuckUp“ soll immer wieder für Irritationen gesorgt haben. Verständlich, betonen die Veranstalter. Aber der Begriff „fuck“ gehöre mittlerweile zur Alltagssprache, und eigentlich gehe es nur um eines: „Wir sehen uns als Mutmacher. Scheitern gehört zum Erfolg. Es muss nicht sein, aber wenn es passiert ist, heißt es aufstehen, abputzen und neu machen“, sagt Stojanovic. Er ist Gründer des Start-ups crowd-o-moto, das Neuwagen vermittelt. Stojanovic war auch im Silicon Valley, um die Marke zu promoten.
Er hat ein eindeutiges Vorbild, wenn es ums Thema Scheitern geht: „Aus meiner Sicht und Erfahrung ist es vor allem diese Mutkultur, die in Amerika viel mehr vorherrschend ist als in Österreich.“ In den USA werde aber auch nur „mit Wasser gekocht“. Gerade deshalb appelliert Stojanovic an Österreicher mit Unternehmergeist: „Wenn man keine Angst vor dem Scheitern hat, genauso wie die Amerikaner, traut man sich auch viel mehr zu.“ Während in Österreich jedes dritte Start-up scheitert, sind es im Silicon Valley neun von zehn – mehr dazu in Weiter Aufholbedarf bei Start-ups in Wien (wien.ORF.at; 07.10.2016).
Plötzlich „nicht mehr sexy“
Auch Speaker Gerald Moser hat eine Niederlage erleben müssen. Fotos von Clowns ziehen sich als roter Faden durch seine Präsentation. „Es war nicht der Traum meiner schlaflosen Nächte, dass ich einmal über meinen beruflichen FuckUp berichte“, leitet er den Vortrag ein – und erntet Gelächter. Dabei hätten die Vorzeichen nicht besser sein können. Mit einer umweltfreundlichen, „grünen Chemikalie“ hatte Mosers Unternehmen eine Marktlücke besetzt. Der asiatische Kundenstamm war Feuer und Flamme für das Produkt.
Dann hatte Moser Pech. Sein Produkt war nicht mehr gefragt: „Grüne Produkte waren plötzlich nicht mehr hipp. Der günstige Preis war wieder geil.“ Hinzu kam, dass der Yen um 30 Prozent abgewertet wurde. Auch externe Experten konnten die Insolvenz nicht abwenden. Moser gab seine Anteile ab. Das Chemieunternehmen, eine Aktiengesellschaft, wurde weitergeführt – und ist laut Moser mittlerweile wieder erfolgreich.
Im Vordergrund steht der Lerneffekt
Moser ist heute Unternehmensberater, wie auch Scheucher. „Jemand, der auf einer „FuckUp Night“-Bühne steht, der ist wieder aufgestanden“, meint Salome Wagner. Der Hauptzweck der Veranstaltung bestehe aber darin, Erfahrungswerte weiterzugeben. Einerseits durch die Vorträge, andererseits durch die Diskussionen danach. „Wir hoffen, dass der eine oder andere in derselben Situation nicht denselben Fehler macht“, erklärt Wagner. Die nächste Wiener „FuckUp Night“ soll im März stattfinden.
Michael Hammerl, wien.ORF.at