Fehler feiern - Interview mit dem Macher der Fuckup Nights
Warum stellen sich plötzlich überall Menschen auf eine Bühne und sprechen über ihr Scheitern? In mehr als 300 Städten passiert genau das – auf sogenannten Fuckup Nights. Was steckt dahinter? Wir haben mit dem Macher der Fuckup Nights in Wien, dem Unternehmer, Speaker und Autor Dejan Stojanovic, gesprochen.
Woher stammt die Idee der Fuckup Nights? Die Idee stammt aus Mexiko City von einer kleinen Truppe, die dort regelmäßig zu Netzwerktreffen ging, aber diese Veranstaltungen irgendwann in Frage stellte. Denn man hört bei solchen Events ja immer das Gleiche: Ich bin toll, du bist toll, alles ist toll – das bringt einen nicht weiter. Stattdessen organisierten diese Freunde die erste Fuckup Night – und daraus entstand in den folgenden Jahren eine globale Bewegung. In vielen Ländern der Welt fanden sich Menschen, die Veranstaltungen organisierten, die sich mit dem Scheitern beschäftigten. Ich habe die Idee nach Österreich gebracht und vor fünf Jahren in Wien zum ersten Mal eine Fuckup Night organisiert.
Was ist Ihr persönlicher Bezug zum Thema? Ich bin eigentlich Jurist – und habe früher bei einer Rechtsanwaltskanzlei gearbeitet. Dann habe ich ein Start-up gegründet und festgestellt, wie schwierig das eigentlich ist. Ein Start-up ist ja kein klassisches Unternehmen, sondern eine Vision, komplett disruptiv, von etwas, das es vorher nicht gegeben hat, mit einem Businessmodell dahinter. Das heißt, ich mache etwas, weiß aber noch nicht genau, wo mich das hinführt, bin aber getrieben von einer Vision. Wenn Start-ups mit möglichen Partnern aus der Old Economy sprechen, stoßen sie zwar häufig auf Interesse („Jaja, das ist toll“), aber die Unternehmen gehen selten ein Risiko ein („Machts einmal und dann schaun mer mal“). Österreich ist ja bekannt für dieses „Schaun mer mal“. Denn alle haben Angst, zu scheitern. Als ich dann mit meiner Kollegin Salomé Wagner über dieses Thema sprach und wir feststellten, dass es in anderen Ländern Fuckup Nights gab, waren wir motiviert genug, das auch einmal in Österreich zu veranstalten.
Wie laufen die Abende ab? Es gibt drei oder maximal vier Sprecherinnen und Sprecher auf der Bühne, die über ihr Scheitern berichten. Wichtig ist, dass sie aus der Ich-Perspektive erzählen und das Scheitern selbst verursacht haben. Denn wir wollen keine Blaming Culture etablieren – nach dem Motto „Ich wäre erfolgreich gewesen, wenn die anderen nicht versagt hätten“. Da würde es dann ja nur um Schuldzuweisungen gehen. Bei den Fuckup Nights erzählen die Vortragenden maximal zehn Minuten lang ihre Geschichte, anschließend gibt es ein etwa fünfminütiges Gespräch mit dem Publikum. Oft ist es so, dass sich Besucher mit Sprechern identifizieren können, weil sie in ähnlichen Situationen stecken.
Es geht also auch darum, sich in den Geschichten wiederzufinden? Wir wollen vor allem das Scheitern enttabuisieren. Scheitern ist nicht nur schlecht. Es heißt ja auch, dass jemand überhaupt mutig genug war, einen Schritt zu wagen. Wer aus seinem Scheitern lernt, ist einen Schritt weiter, weiß jetzt, wie es nicht geht – und kann in einem zweiten Anlauf mit höherer Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein. Manchmal geht es dann bei diesem neuerlichen Versuch auch um eine andere Art von Erfolg. Denn Erfolg muss ja nicht immer finanzieller Natur sein. Es kann zum Beispiel auch darum gehen, dass eine Selbstständigkeit funktioniert oder jemand seine eigentliche Berufung findet.
Welche Geschichten des Scheiterns haben Sie besonders berührt? Mir ist die Geschichte von Larissa Lielacher besonders in Erinnerung geblieben. Die Finanzmathematikerin und Investment-Expertin hat entdeckt, dass sich von den Trends und Stimmungen auf Twitter Marktentwicklungen vorhersagen lassen. Sie entwickelte einen Prototypen, der ziemlich gut ankam, die Investoren standen Schlange. Doch ihr Start-up zog sich zwei Jahre lang zurück, baute eine Riesentechnologie drum herum, ging damit zurück an den Markt und – es hat niemanden mehr interessiert. Die Lösung war an der Zielgruppe vorbei entwickelt worden und die Konkurrenz längst aktiv geworden. Also ein richtiger Fuckup. Ich sehe da sehr viele Parallelen zu anderen Unternehmen.
Inwiefern? Aus Gründen der Vorsicht suchen viele immer die sicherste Variante, setzen auf Erfahrungen aus der Vergangenheit, bauen daraus etwas Großes auf, beziehen aber Kunden nicht mit ein, agieren dann am Markt vorbei. Die Projekte werden stillschweigend eingestellt – und in Zukunft wächst die Hemmschwelle, es noch mal zu probieren. Denn: Man hat es ja schon mal probiert. Das ist sehr kontraproduktiv.
Klingt so. Die Entscheider in den Unternehmen würden das aber sicher anders sehen. Bei unseren Fuckup Nights kommen viele Besucher und Vortragende aus etablierten Unternehmen – und gar nicht unbedingt so viele aus Start-ups. Der Grund ist, dass die Fehlerkultur in der Old Economy im Vergleich zur Start-up-Welt noch so unterentwickelt ist. Es ist also ein Bedürfnis da, etwas zu ändern. Fehlerkultur heißt für mich in der Unternehmerwelt nicht nur mutig zu sein, zu experimentieren und Innovationen zu schaffen. Es geht auch um den Fehler im Alltag – in der Buchhaltung, im Marketing, in der Reinigung –, wo auch immer. Fehler passieren. Wenn es in der jeweiligen Kultur nahezu verboten ist, über Fehler zu sprechen, und mit Sanktionen gedroht wird, teilen Mitarbeiter dieses Wissen nicht. Dann machen die Kollegen links oder rechts dieselben Fehler, verschweigen sie auch und so wiederholt sich derselbe Fehler immer wieder, was zu Imageschäden führen kann.
Wie lässt sich eine positive Fehlerkultur etablieren? Alles beginnt mit der Erkenntnis, dass im Unternehmen doch nicht so eine positive Fehlerkultur vorherrscht, wie wir möglicherweise glauben. Laut einem Hernstein Management Report aus dem Jahr 2017 gehen 75 Prozent der Top-Manager davon aus, dass es in ihrem Unternehmen eine offene Fehlerkultur gibt, aber nur 54 Prozent des mittleren Managements. Also was können Unternehmen machen? Sie können beispielsweise von oben anfangen, Wissen zu teilen und positiv zu reagieren, wenn Fehler an sie herangetragen werden. Anstatt zu fragen: „Was ist jetzt schon wieder passiert?“, sollten sie sich für den Hinweis bedanken und mit ihren Mitarbeitern überlegen, was zu tun ist. Manche Unternehmen organisieren Workshops, die zeigen, dass es hilfreich ist und Spaß macht, Wissen zu teilen.
Sind andere Länder und Kulturen in Sachen Fehlerkultur schon weiter? Ich war eine Zeit lang im Silicon Valley, das natürlich unglaublich gehypt wird. Alle gehen davon aus, dass dort die tollsten Sachen passieren, weil die Amerikaner einfach viel weiter sind als wir. Was aber nicht immer bewusst ist: Dort arbeiten ja nicht nur Amerikaner, sondern Europäer, Afrikaner, Asiaten, Lateinamerikaner. Denn das Silicon Valley ist das Epizentrum für Innovation. Alle reisen dorthin und bringen sich ein, weil die Haltung gegenüber Innovationen dort eine andere ist als hierzulande: Wenn ein Start-up eine innovative Idee hat und sie am Markt testen will, fragt sich der Durchschnittsamerikaner: Spart es mir Zeit, spart es mir Geld oder bringt es mir Geld? Wenn eines davon zutrifft, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er es ausprobiert. Während wir in Europa – im Kontrast dazu – eher denken, „Na, ich bin mir nicht sicher“. Der durchschnittliche Österreicher denkt: „Ist das wirklich so gut? Warum hat das dann noch keiner vorher gemacht?“ Diese Haltung verhindert Innovation. Dabei haben wir hier viel bessere Rahmenbedingungen – auch im Scheitern. Denn das soziale Netz, das uns hält, wenn wir auf die Nase fallen, ist ja ganz anders als in Amerika, wo Menschen auf der Straße landen und schauen müssen, wie sie wieder hochkommen.
Hat sich in den vergangenen Jahren an dieser Haltung in Österreich etwas geändert? Gefühlt schon, aber genau belegen kann ich das nicht. Mein Eindruck ist aber, dass sich zum Beispiel auch Konzerne zunehmend für das Thema interessieren. Bei den Fuckup Nights erreichen wir ja auch eine große Bandbreite von Leuten, also nicht unbedingt nur die Innovationsmanager, Gründer und CEOs. Und für mich ist die Zivilgesellschaft eigentlich die größte Macht in Richtung einer positiven Fehlerkultur.
Interview: Bettina Geuenich