Über Fehler zum Erfolg | KSV1870
Das offene Zugeben eigener Fehler ist in vielen Unternehmen immer noch ein Tabu. A1 geht einen anderen Weg und belohnt den „besten“ Fehler hingegen mit einem eigenen „Versemmelt-Award“.
Thomas Alva Edison ist 9.500 Mal gescheitert. Denn für die Erfindung der Glühbirne hat er angeblich rund 9.500 kleine Kohlefäden ausprobiert, bis er den richtigen fand, der die Glühbirne dauerhaft zum Leuchten brachte. Für viele heimische Unternehmen ist der offene Umgang mit Fehlern nach wie vor ein Tabu. Das bestätigen auch die Ergebnisse des Hernstein Management Reports, der 2017 die Fehlerkultur in Österreich und Deutschland untersucht hat. Ein Viertel der Führungskräfte erlebt das eigene Unternehmen im Dauerstress, in dem keine Zeit bleibt, aus Fehlern zu lernen. Bei auftretenden Fehlern meinen 24 % der Befragten, dass vor allem die Schuldfrage diskutiert wird.
Nächte des Scheiterns. Dejan Stojanovic und Salomé Wagner waren eine der Ersten, die das Tabu des Scheiterns und eine offene Fehlerkultur in Österreich auf die große Bühne gebracht haben – und zwar mit den „FuckUp Nights“. „Fuck-up gilt als Synonym für das Scheitern in der Start-up-Szene“, erklärt Stojanovic. Dabei treten drei Unternehmer, die einen wirtschaftlichen Bauchfleck hingelegt haben, vor das Publikum und erklären, wie und warum sie gescheitert sind. Mittlerweile sind die „FuckUp Nights“ eine globale Bewegung in mehr als 300 Städten weltweit – in Österreich hat sie bislang zehn Mal Halt gemacht.
Als Gründer des „The Failure Institute“ bringt Stojanovic dieses Format seit einem Jahr direkt in die Unternehmen – zum Start auch als „Softversion“, um die Hemmschwelle möglichst gering zu halten: „Wir haben dann externe Speaker, die über ihr Scheitern berichten, und nicht gleich Mitarbeiter des Unternehmens selbst.“ Warum es so wichtig ist, Fehler nicht unter den Tisch zu kehren, ist für den Experten klar: „Je früher ich darüber spreche, desto früher kann ich den Fehler auch beseitigen. Das spart Kosten, vermeidet mögliche Imageschäden, und die Mitarbeiter können von den Fehlern anderer lernen.“
Es braucht Vertrauen. A1 hat vor zwei Jahren begonnen, die „FuckUp Nights“ als Format für die Mitarbeiter einzuführen – unter dem Namen „Versemmelt“. „Grundlage dafür war, schon vor dem Projekt, den Begriff ‚Trust‘ als Wert in der A1-Gruppe zu etablieren. Es geht dabei etwa um angstfreies Ausprobieren und die Möglichkeit, vertrauensvoll Feedback von Kollegen einholen zu können“, erklärt Elisabeth Petracs. Sie begleitet Transformationsprozesse bei A1 und ist freiberufliche Trainerin und Moderatorin.
Es ist ein offener, angstfreier Raum notwendig, um Fehler zugeben zu können.
Dass solche Paradigmenwechsel nicht immer friktionsfrei ablaufen, weiß Marcus Izmir, Mitgründer der Initiative „Das Neue Arbeiten DNA“. „Wer 20 Jahre in einem Unternehmen arbeitet und gewohnt ist, seine Fehler zu vertuschen, wird sich nicht sofort ändern können. So ein Mitarbeiter wird sich zuerst eher zurückziehen und mehr Zeit brauchen“, sagt Izmir. Die Initiative für einen toleranten Umgang mit Fehlern müsse jedenfalls von der Führungsebene ausgehen. „Die Spitze muss eindeutig sagen: Wir wollen das. Denn es ist ein Prozess, der über Jahre geht.“ Der trivialste Zugang, eine Fehlerkultur einzuführen, besteht laut Izmir darin, die besten Fehler zu prämieren.
Niemand wollte versemmeln. Eine Variante, die auch A1 genutzt hat – wenn auch mit Anlaufschwierigkeiten. Mit dem „Versemmelt-Award“ sollten Projekte ausgezeichnet werden, die nicht funktioniert haben – gemeldet hat sich anfangs niemand. „Diese Situation haben wir genutzt, um zu thematisieren, ob wir noch nicht reif genug sind, um offen über Fehler zu reden“, sagt Petracs. Sie weiß, dass ein offener, angstfreier Raum nötig ist, um Fehler zugeben zu können. „Ich finde auch den Begriff ‚Fehlerkultur‘ merkwürdig. Es geht vielmehr um eine Lernkultur und die Chance, bestärkt aus einer schwierigen Situation hervorzugehen.“ Dabei ist auch die Persönlichkeitsstruktur jedes Einzelnen entscheidend. „Erziehung, persönliches Umfeld oder auch Selbstbewusstsein sind ausschlaggebend, ob sich jemand als Opfer sieht und die Fehler bei anderen sucht oder handlungsfähig ist und sich selbst reflektiert“, so Petracs. Auf Unternehmensebene haben es kleinere Firmen leichter, wenn es um die Fehlertransparenz geht. „Konzerne denken in Quartalen und haben Fehler nicht im Fokus. Kleine und speziell Familienunternehmen sind der direkte Freund der eigenen Brieftasche. Sie arbeiten nachhaltiger, mit einem langfristigen Horizont“, erklärt Izmir.
Frage der Mentalität. Start-ups nehmen eine besondere Position ein, da sie von Beginn an innovationsgetrieben und experimentierfreudig sind. „Durch Probieren kommen wir weiter. Wir korrigieren Fehler rasch und gehen voran“, weiß Izmir. Apropos Mentalität: Obwohl sich mit der Schweiz ein europäisches Land als Innovationsweltmeister bezeichnen darf, sind die USA im Gegensatz zu Europa risikofreudiger. Österreich belegt dabei Rang 20, wie die Studie der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) aus 2017 belegt. „Es wäre für den Standort Österreich fatal, wenn das Vermeiden von Fehlern vorrangig ist. Bei mutigen Leuten ist das Scheitern vorprogrammiert. Denn auch dadurch ist Innovation möglich“, so Stojanovic.
Fehler sind unvermeidbar. Die wichtigste Frage ist, wie damit umgegangen wird. Petracs rät, bei Produktinnovationen ein „überschaubares Risiko“ zu kalkulieren. „Und wenn es nicht funktioniert, dann muss man es lassen und sich neue Ziele setzen.“ Oder wie es Edison formuliert hat: „Unsere größte Schwäche ist das Aufgeben. Der sicherste Weg zum Erfolg besteht darin, immer wieder einen neuen Versuch zu wagen.“
Aus der Praxis I
Eine besonders originelle Methode für den Umgang mit gescheiterten Ideen hat Schokoladenproduzent Josef Zotter gefunden. Er hat einen eigenen Ideenfriedhof, wo wenig erfolgreiche Schokoladensorten und Produktideen begraben werden – und das sogar mit eigenen Grabsteinen.
Aus der Praxis II
Marketagent.com-Studie zur Fehlerkultur in heimischen Betrieben: Drei Viertel nehmen den Umgang mit Fehlern im eigenen Unternehmen positiv wahr. Trotzdem wird der Ruf nach Verbesserungen laut – auch wenn 79 % angaben, dass die Mitarbeiter zusammenhelfen, um negative Auswirkungen des Fehlers gering zu halten. Der Umgang mit Fehlern mag jedoch gelernt sein: Maßnahmen, um die eigene Fehlerkultur zu verbessern, sucht man in vier von zehn Unternehmen allerdings bisher vergeblich. Ein Drittel der Firmen setzt bereits Initiativen zu einem offeneren Gesprächsklima über Fehler; 18 % bieten spezielle Trainings zum Umgang mit Fehlern für ihre Mitarbeiter an.
Text: Markus Mittermüller