Wie ich lernte, Fehler zu lieben | DiePresse
Scheitern ist schön. Sogar in Österreich, der Hochburg des Nachtragendseins, verliert Misserfolg seinen Schrecken. Fehler zu machen ist schon fast cool. Ich bin gescheitert, na und?
Die zierliche Blondine tritt vor die Zuschauer. Bei denen, eben noch ausgelassen-amüsiert, ist ein Aufmerksamkeitsschub zu spüren. Ihr Name sei Silvia Kaupa-Götzl, sagt die Blonde, sie war einer der beiden Geschäftsführer, die mit dem ÖBB-Fernbus Hellö „so kolossal scheiterten“. (Anm.: Im Mai 2017 verkauften die ÖBB die Marke Hellö nach nur zehn Betriebsmonaten samt Streckennetz, Know-how und 28 Bussen an die deutsche Flixmobility.)
Das Publikum, gut zur Hälfte ÖBB-Mitarbeiter, hört konzentriert zu. Kaupa-Götzl spricht vom Anspruch, „in den Markt hineinzukrachen“, aber „zu spät begonnen, zu lang diskutiert“ zu haben, von „zu großen Schuhen“ und schweren Managementfehlern. Sie sei stolz, schließt sie, „auf unsere Abenteuermentalität und dass wir es gemacht haben. Aber das nächste Mal testen wir zuerst den Markt ab.“ Es folgen rauschender Applaus und ein, zwei Sachfragen. Keine Anklagen, keine Vorwürfe. Die Sache ist erledigt.
Die erstaunliche Szene trug sich vergangene Woche auf der 20. Wiener „Fuckup Night“ zu. Hinter dem unflätigen Namen verbirgt sich Hochanständiges: Mutige Menschen erzählen die Geschichte ihrer Misserfolge, ehrlich und ungeschönt, damit andere daraus lernen und diese Fehler nicht wiederholen. Kompetente Moderatoren (hier Veranstalter Dejan Stojanovic und ÖBB-Open-Innovation-Lab-Leiterin Yvonne Pirkner) garantieren eine gefahrlos-konstruktive Stimmung.
Perlen der Weisheit
Das Scheitern verliert seinen Schrecken. Sogar in Österreich, der Hochburg des Nachtragendseins. Mehr noch: einst ein dauerhaftes Stigma, sind Fehler jetzt schon fast cool. Ich bin gescheitert, na und?
Alles kein Grund für Schuldzuweisungen, Schimpf und Schande, sondern für respektvolles Aufarbeiten der Angelegenheit. Gesucht sind Ursachen statt Schuldige, Verbesserung statt Strafe. Man bleibt ruhig und hält sich an die Fakten. Und man arbeitet mit- statt gegeneinander. Es soll doch keiner das Gesicht verlieren.
Der deutsche Autor Sebastian Rabsahl treibt das mit seinem Ratgeber „Endlich erfolglos!“ auf die Spitze. Wir seien nicht mit den notwendigen Mitteln ausgestattet, schreibt er, in diesen schwierigen Zeiten zurechtzukommen. Wir sollten uns den „schrillen Lockrufen“ von Leistungswahn, Zielmaximierung und Selbstoptimierung entziehen und zum Gegenteil streben: der Pessimierung. Weil die Dinge schlecht zu machen „voll funny und herrlich schräg“ sei.
Ernsthafter beschäftigt sich Autorin Elke M. Schüttenkopf in „All the Wiser: Learning from Our Mistakes“ mit dem Thema. Sie erinnert an Erfolge, die aus Scheitern entstanden (dem Glykolskandal der 1980er-Jahre ist die blühende Weinkultur heute zu verdanken; einer falschen Klebstoffrezeptur das Post-it) und postuliert fünf Regeln für kluges Scheitern
:
► Mut zum Risiko, wenn es die Sache wert ist.
► Perfektion ist unrealistisch, Experimente sind besser.
► Die Wege der Umsetzung dürfen ruhig falsch sein, solange die Vision bleibt.
► Misserfolge in Lektionen („Perlen der Weisheit“) verwandeln und mit der Welt teilen.
► Es einfach tun. Jetzt und sofort.